Betreff: Latten am Zaun
Ich lebe in einer an Hunden reichen Straße. Die Straße ist eine Sackgasse, wir wohnen an deren Ende. So muss ich jeden Tag die Parade abnehmen, oft sogar mehrfach am Tag. Eine lästige Sache, weil mit viel Gerenne, Aufregung und Gebell verbunden, so dass wirklich jeder aus der Straße es mitbekommt, wenn ich mit Herrchen unterwegs bin.
Es geht deshalb regelmäßig so turbulent zu, weil kaum einer der Hunde aus unserer hundereichen Straße so locker und ohne Leine dahinspazieren darf wie ich. Vielmehr gilt für die meisten der „Stumpfsinn der Enge“, wie Herrchen das nennt. Womit ich keineswegs gesagt haben will, dass unsere Hunde stumpfsinnig seien, oh nein, ganz im Gegenteil, es sind durch die Bank sehr lebendige und sympathische Jungs und Mädchen. Nur kommen sie eben selten vom Hof, weshalb meine Gänge wie eine Provokation wirken oder umgekehrt, wäre ich nicht so selbstbewusst, wie Spießrutenlauf.
Ungefähr auf der Hälfte unserer Straße lebt ein weißer Labrador, dessen Name mir bis heute nicht bekannt gemacht worden ist. Ah, ich höre eben, er heißt Lemmy. Fein. Wenn er mich vorübergehen sieht, passiert immer das gleiche: Labbi Lemmy irgendwo im Hinterland des Grundstücks, kommt in einem – darf ich es so sagen? – Affenzahn heran, springt hoch, bellt und tut so, als würde er auch noch über den Zaun springen wollen. Tut er aber nie. Seit Jahren geht das so, und in all den Jahren nicht einmal rüber.
Ich könnte das ignorieren, finde es aber reizvoll, dem Labbi-Auftritt auf meine geistvolle Weise zu antworten, sprich mir immer wieder etwas Neues auszudenken, um Lemmy in Erstaunen zu versetzen. In Angst und Schrecken wäre natürlich noch besser.
Manchmal gehe ich schweigend vorüber und tue so, als sähe ich den Hund gar nicht, wie er angelaufen kommt, am Tor steht und seine – zugegeben prächtig männliche – Unterseite präsentiert und um den Hals herum sein stets neckisches Tuch. Manchmal aber renne ich auch an das Tor, tue dann aber gar nichts. Manchmal renne ich am Tor hin und her, was ihn veranlasst, gleiches zu tun. Ich belle dann auch schon mal. Manchmal laufe ich in seine Richtung, bremse aber vorher ab und strulle in aller Seelenruhe zur Seite weg. Manchmal mache ich ihm eine richtige Ansage, wie man das heute so nennt, mit Zähnefletschen, Bürste und so, aber alles nicht wirklich ernst. Und all das biete ich in verschiedenen Varianten an: steil erhobene Rute, weniger steile Rute, herabhängende Rute.
Für Lemmy muss das so wirken, als habe er im Abo einen Platz im ersten Theaterrang, damit er nie verpasse, was ich auf der Straße als meiner Bühne für ihn performe. Er staunt und ahnt natürlich nichts davon, wie schwierig es ist, mir jedes Mal etwas wirklich Neues für ihn einfallen zu lassen, und wie das auf meinen Seelenzustand durchschlägt. Eine hübsche neue Idee hebt mich seelisch gleich in höchste Höhen. Fällt mir aber nichts ein, falle ich ins Bodenlose. Herrchen sagt, dass sei typisch künstlerisches Ringen. Höchste Höhen, tiefste Tiefen nebeneinander. Immerhin gleicht sich das unterm Strich wieder aus, so dass ich, wie Herrchen auch, nach außen stets wohltemperiert wirke, während es in meinem Innern entweder kocht oder gefriert oder beides zugleich.
Herrchen meint erstaunlich optimistisch, am Ende falle einem immer noch etwas ein, muss schließlich nicht immer ein Glanzstück sein. Er empfahl mir noch Alexander den Großen. Der habe Schlachten durch Originalität und blitzschnelle Vorteilsnahme entschieden, selbst gegen eine übermächtige Übermacht wie das Heer des persischen Dareios (Wer kennt heute noch den Vers: 3-3-3 - bei Issos Keilerei?). Da könne ich noch was lernen. So Herrchen, der zwar keine echten Schlachten schlägt, aber das ganze Leben als eine Schlacht ansieht, in der blitzschnelle Vorteilsnahme manchmal entscheidend sein kann, er meint da wohl vorwiegend Frauen.
Alexander half mir tatsächlich. Alexander brachte mich auf folgende Idee: Ich trotte an meinem Labbi Dareios vorbei, scheinbar gelangweilt und mit hängenden Ohren. Aber an der letzten Latte vom Zaun drehe ich mich ruckartig um und stürze frontal auf Lemmy zu, springe hoch am Zauntor und würde ihn spielend überwinden, wenn ich es wollte. So stehe ich meinem Dareios Aug in Aug gegenüber, sehe seine Schockstarre, zwinkere ihm dann aber freundlich zu. Ich könnte ihn beißen, wehrlos wie er ist. Aber ich bin weder Alexander noch ist der Labbi Dareios. Und unser Mecklenburg liegt glücklicherweise weit entfernt von Makedonien, Griechenland, erst recht von den entsetzlichen und heißen Weiten Persiens oder Indiens. Und wer behauptet, die ersten Obotriten, unsere Vorläufer, seien damals versprengte Alexander-Leute auf Nordfahrt gewesen, der hat nicht alle Latten am Zaun.
Auf Intagram: elvis.blog
Hallo Elvis, die Vergleiche deines Herrchen mit allen möglichen Größen der Geschichte sind immer köstlich.....Gruß Pupy;-))
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