Betreff: Aus der Region
Neulich kamen Gäste aus der Region zu uns. Bevor ich mich zur Begrüßung bereitmachen konnte mit Bellen, Zähnezeigen, Bürste, also dem üblichen Programm, wurde mir über das Gartentor hinweg ein riesiges luftgetrocknetes Schweineohr der höchsten Delikatess-Stufe gereicht.
Als ich wieder zu mir kam, hatten die Gäste ihr Bettzeuge schon im Haus ausgebreitet und saßen mit dem Rest meines Rudels unterm Pflaumenbaum bei Kaffee und dem von Frauchen gebackenen Quarkkuchen (gleichfalls höchste Delikatess-Stufe). Ich war eben nach meinem Schweineohren-Trip wieder mental dabei, als einer der Gäste ahnungslos fragte, ob Ost-Thüringen in der Nähe liege.
Die Ahnungslosigkeit war sogar doppelt. Zum einen zeigte der Gast (aus dem Westen) keinerlei Kenntnis der ostelbischen Geografie, denn wir wohnen in Mecklenburg. Zum anderen aber sah sich mein alles komplizierendes Herrchen außerstande, die Frage mit einem so wahrheitsgemäßen wie schlichten Nein zu beantworten. Für Herrchen tauchte sogleich jene berühmte Frage auf, die von Gretchen an Faust gerichtet wird, die Gretchenfrage: Nun sag‘, wie hast du‘s mit der Region?
Okay, im Original heißt es Religion, aber auf ein l und i kommt es in unserem Zusammenhang jetzt nicht an. Denn das mit der Region ist mindestens so kompliziert wie das mit der Religion. In den Supermärkten bei uns fallen Bautzner Senf und Thüringer Rostbratwürste unter „Produkte aus der Region“, ganz Ostdeutschland gilt als eine Region. Manchmal gilt auch ganz Norddeutschland als Region, etwa beim Bismarck-Hering. Umgekehrt steht auf unserem Honig zu Hause ebenfalls „Aus der Region“, aber der kommt aus unserer Straße von meiner imkernden Tante, auch die übrigens aus der Region, wenn auch nicht Mecklenburg, aber Vorpommern.
Das zeigt, dass es mit der Region nicht stimmen kann, so wenig wie mit der Religion beim Faust. Und man braucht nicht einmal einen besonderen IQ, um zu erkennen, dass Region nur Intimität suggeriert und nicht im Entferntesten auch nur daran denkt, diese wirklich zu bieten. Faust will von Gretchen ja auch nur Beischlaf und nicht die Ehe.
Das ist wie mit den Eierpackungen, die bei uns für meine leider viel zu seltenen Suchspiele benutzt werden. Der Fachwerkbauernhof mit lustigen Hühnern auf dem Etikett hat mit der Realität von Eierproduktion nichts zu tun. Das wissen wir von meinem Freund, dem pyrenäischen Berghund, der gleich um die Ecke auf einem modernen Hühnerhof unter einem Überstundenberg Wache schiebt.
Dass so ein Etikett kaufanregend wirkt, kann nur damit zu tun haben, dass sich alle romantisch nach einer heilen Fachwerkwelt sehnen. Ich nehme mich da gar nicht aus. Ich träume auch von einem schönen Heim, auch wenn es nicht ein Fachwerkbauernhof sein muss. Aber ein Häuschen mit Garten wäre schon schön. Ich hätte gern überall bequem gepolsterte Ruheplätze und Mahlzeiten in hoher Qualität, die mir unter netten Worten und freundlichem Tätscheln gereicht werden – unaufgefordert pünktlich, versteht sich, plus dem Snack zwischendurch. Ich hätte gern ein bisschen Spiel, ein bisschen Spaß, wohldosierte Postaufreger, ab und an ein unanstrengendes Treffen mit anderen Hunden. Ich hätte gern Bewegung, wenn mir nach Bewegung ist, Ruhe, wenn mir nach Ruhe ist. Und Fellpflege, wenn mir nach Fellpflege ist.
Doch, Himmel, das alles habe ich ja! Fällt mir jetzt erst auf. Verrückt. Da kann man mal sehen, wie langweilig es ist, wenn einem die Träume doch tatsächlich erfüllt werden.
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