Betreff: Tierschutz

Neulich auf der Straße fragte eine Frau mit Hund und Ehemann mein Herrchen, ob ich aus dem Tierschutz sei. Ja, antwortete Herrchen wahrheitsgemäß und fragte seinerseits, woran sie, die Frau, das zu erkennen meine. Am Blick, antwortete sie. Tierschutzhunde hätten so einen unverkennbaren Blick.

 

Ich war mindestens so erstaunt wie Herrchen. Wenn mein Blick in diesem Moment überhaupt etwas sagte, dann nichts von Tierschutz, sondern von Müdigkeit. Denn es ist ermüdend, wenn Herrchen mit Leuten unterwegs ins Gespräch kommt und ich dumm dabeistehe in Erwartung, dass es endlich weitergeht. Warten ist Scheiße, und das hat vermutlich Auswirkung auf den Blick.

Die Sache mit der Frau wurde dann aber noch seltsamer. Als sie mitbekam, dass ich ein deutscher Hund bin, einer aus Mecklenburg, den die Umstände zweimal ins Tierheim, also in den Tierschutz, gebracht hatten und Herrchen also schon die zweite Vermittlung ist, erlosch ihr Interesse augenblicklich. Denn sie verstand unter Tierschutz nicht etwa Hunde aus dem Tierheim, sondern Straßenhunde aus Rumänien, Spanien, Griechenland oder sonst woher, die in großen Aktionen und perfekt organisiert nach Deutschland zu neuen Frauchen und Herrchen gebracht werden. Einen solchen hatte auch sie bei sich, lobte ihn über den grünen Klee, weil er von Anfang an so anhänglich und artig gewesen sei. Schon am Flughafen habe sich das gezeigt. Am Flughafen! Ich war noch nie auf einem Flughafen geschweige denn in einem Flugzeug.

Herrchen machte dann den Fehler, mein Schicksal Wohlstandsverwahrlosung zu nennen. Ein bitteres, aber durchaus zutreffendes Wort. Ich musste nie auf der Straße leben, ganz im Gegenteil, aber es hat sich niemand so recht um mich gekümmert. Da schwärmte die Frau los vom schweren Schicksal der Straßenhunde, vom täglichen Überlebenskampf und wie die Hunde dabei gelernt hätten sich anzupassen und sich deshalb auch in Deutschland schnell integrierten. Zum Vergleich: Ich habe nach Einzug bei Herrchen erstmal mit den Schafen des Nachbarn gespielt, nicht gerade eine Integrationsleistung, gebe ich zu.

Herrchen versteinerte, ich sah es ihm an. Er wollte mit dem Gespräch rasch fertig werden, aber bei Frauen ist das bekanntlich schwierig. Das Herrchen vom integrierten Straßenhund durfte übrigens überhaupt nichts sagen. Was war ich froh, als es endlich weiterging, zumal bei mir schon arg der Lehm drückte. Herrchen, jetzt schlecht gelaunt, verstieg sich zu der Ansicht, wir hätten da eben umgedrehten Rassismus erlebt: „Der Straßenhund aus Rumänien ist also wertvoller als du.“ Und dann gab es überhaupt kein Halten mehr: „Komisch ist nur, dass es so einen wie dich nicht noch einmal gibt, aber die Straßenhunde werden einfach nicht weniger, obwohl doch schon hunderte nach Deutschland geholt wurden, weil es gerade schick ist, einen Straßenhund aufzunehmen.“

Ich dachte, Herrchen solle sich mal nicht so aufregen. Es geht ihn doch nichts an, und wozu hat er mich. Ich bin weder aus der Straßenhund-Szene noch aus der anderen Hunde-Szene, wo Reinrassigkeit und Zucht alles bestimmen. Ich will damit keineswegs sagen, dass Herrchen nicht die Hunde aus meinem Lebensumfeld lieb behandeln würde, egal wo sie herkommen. Im Gegenteil, ich wünschte mir solche Zuwendung auch einmal. Wenn er etwa Ella – reinrassig – streichelt, um die ich lieber einen großen Bogen mache. Und einen Ex-Straßenhund aus Spanien haben wir mal im Urlaub in Holstein erlebt, war auch ein netter Kerl. Aber ansonsten sieht Herrchen ungebremste Migration derart skeptisch, dass ich ihn an dieser Stelle besser nicht zitiere.

Noch Stunden später hatte sich Herrchen nicht beruhigt, ausgerechnet er, der mich sonst schon nach dem ersten Beller bei Ankunft der Post streng zur Gelassenheit mahnt. „Von wegen dein Tierschutzblick. Hast du ihren Blick gesehen, diesen schwimmenden Blick der Weltverbesserer. Die werden auch nicht weniger, genau wie die Straßenhunde.“ Frauchen schritt schließlich ein, er, Herrchen, solle nicht so viel Unsinn reden.

Ein paar Tage später begegnete wir an unserer geliebten Biogasanlage wieder einmal Toni mit seinem Herrchen. Toni ist auch ein deutscher Hund aus dem Tierheim. Sein Herrchen hat ihn vor ein paar Jahren mitgenommen, als Toni schon schwer augenkrank war. Inzwischen ist er blind, aber fidel und hat es bei sich zu Hause bestimmt ähnlich gut wie ich. Jetzt könnte ich eine Pointe machen über Blindheit und schwimmende Blicke, aber das unterlasse ich taktvoll. Zumal Herrchen gerade einigermaßen wieder hergestellt scheint, nicht zuletzt dank Toni.

Auch auf Instagram: elvis.blog

 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Betreff: Loser

Betreff: Nie

Betreff: Kind und Kegel