Betreff: Requiem auf eine Nackenrolle
Neulich habe ich Herrchens Nackenrolle in Herrchens Abwesenheit dann doch endlich kurz gemacht. Porös war sie schon lange, ungefähr so wie die Carolabrücke in Dresden. Bei der Brücke war es der Zahn der Zeit, bei der Rolle mein Reißzahn. Mit dessen Hilfe fand ich dank eines kleinen Zerrspiels Zugang zum Innern der Rolle, watteähnlichem Material.
Damit gelang es mir dann, Küche und Wohnzimmer in eine vorweihnachtliceh Schneelandschaft zu verwandeln. So abwegig fand ich das nicht. In den Supermärkten liegen die Weihnachtssachen doch auch schon eine Weile rum, jedes Jahr das gleiche Zeug. Und auch mit der Nackenrolle war es immer das gleiche, ich nahm sie mir, wenn Herrchen mich allein ließ oder sonst etwas an ihm zu kritisieren war. Deshalb schien es mir nun an der Zeit für den Carolabrückenknalleffekt.
Als Herrchen nach Hause kam, wirkte er, als habe er damit schon lange gerechnet. Er nahm sein Handy und filmte die Schneelandschaft, bevor er sie klaglos wegräumte. Er stellte den Film ins Internet und bekam gute Ratschläge. Ob ich noch kein Frühstück bekommen habe. Ob ich nicht ausgelastet sei. Ob Herrchen sich zu wenig um mich kümmere. Es gab sogar Kritik daran, mich überhaupt allein zu lassen. Interessant bei allen Wortmeldungen: Kein Bedauern von niemandem, dass Herrchens Nackenrolle von Herrchen nun nicht mehr (beim Lesen im Liegen) benutzt werden kann.
All die Ratschläge verkennen allerdings die Bedeutung der Nackenrolle für unsere Beziehung – obgleich ich an dieser Stelle schon häufiger darauf hinwies. Oft werden an sich belanglose Gegenstände zu Symbolen in einer Beziehung. Es sind schon Beziehungen gescheitert an unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie der Geschirrspüler zu befüllen sei. Auch Zahnpastatuben oder genauer das Ausdrücken von Zahnpastatuben hat angeblich Liebende irreparabel entliebt. Natürlich sind nie die Gegenstände selbst schuld. Es handelt sich vielmehr darum, dass die direkte Kommunikation zwischen den Partnern einer Beziehung naturgemäß schwierig ist, weil immer gleich so vieles mitschwingt. Frauchen kann doch Herrchen schlecht direkt ins Gesicht sagen, dass ihr seine strenge Tageseinteilung aus Gewohnheiten auf den Geist geht. In solchen oder ähnlichen Fällen hilft dann ein Drittes, eben ein Gegenstand oder auch ein Hund, wenn nicht sogar ein Mensch, ich deute das hier nur mit einem Wort an: Seitensprung.
Bei Herrchen und mir kann von einem Seitensprung freilich keine Rede sein, auch wenn Herrchen gern den Frauen und ich den Eichhörnchen nachschaue (und im Gegensatz zu Herrchen auch nachsetze). Bei uns ist es oder vielmehr war es die Nackenrolle. Ich mochte sie von Anfang an, sie war maulseitig gut zu händeln, leicht zu finden und roch intensiv nach Herrchen. Frauchens vielfache Mahnung, die Rolle auch mal der Wäsche zu überlassen, überhörte Herrchen, ich behaupte: geflissentlich. Er kann also nicht sagen, er habe nichts gewusst. Womöglich hat er es sogar darauf angelegt, denn die Nackenrolle war schon längst nicht mehr eine ordinäre Nackenrolle, sondern ein Fetisch. Und ist ein Fetisch nicht bei aller Problematik ein Zeichen der Liebe?
Nein, nein, hier muss ich mir selbst ins Wort fallen. Nichts von Liebe, das geht zu weit. Sie war auch hässlich, diese Rolle, Frauchen hat das immer schon kritisiert. Ich glaube auch, Frauchen freut das Ende der Rolle am meisten. Sie hat Herrchen schon zu Weihnachten im vergangenen Jahr eine neue geschenkt. Glauben die beiden, dass ich das nicht weiß? Nun, dass ich es weiß, darauf habe ich durch die Gestaltung einer vorweihnachtlichen Landschaft stilvoll hingewiesen.
Kommt jetzt die zweite Rolle als Ersatz für die erste hinein in unseren Alltag? Wird sie Herrchen stützen, zumindest im Nackenbereich beim Lesen? Wird sie mich interessieren und wenn ja, wie stark könnte ihr Widerstand sein? Robuster als die kurz gemachte sieht sie aus, sie wird auch besser bewacht. Und Frauchen hat mir neulich den Preis ins Ohr geflüstert. Oha, dachte ich, wenn ich da zugreife, macht sie den Scholz und mich zum Lindner.
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