Betreff: Das Eigentliche
Neulich hatten wir eine Besucherin, die sich beim Kaffee aufregte über die vielen zeitraubenden Zumutungen des Lebens wie E-Mails, Einladungen, die Internet-Kanäle, Briefe mit maschinell erstellter Unterschrift und dergleichen mehr. Das alles würde sie nur „vom Eigentlichen“ ablenken.
Herrchen fragte dann, was für sie, die Besucherin, das Eigentliche sei. Er erntete einen Blick, der halb sagte, das solle ein Geheimnis bleiben, halb, dass man so etwas einfach nicht fragt. Die Besucherin hat viel mit Musiktheater zu tun. Naheliegend wäre also, dass das Eigentliche bei ihr mit Musik zu tun hat. Aber da kann man sich natürlich gewaltig irren.
Nun, die Besucherin fuhr davon, vermutlich in Richtung Eigentliches, und ließ uns, Herrchen und mich, mit der Frage zurück, was für uns das Eigentliche sei. Wir haben ja Zeit darüber nachzudenken, wenn wir mal wieder lange in Feld und Wald unterwegs sind.
Wenn unsere
Besucherin das Eigentliche nicht nennen wollte oder womöglich auch gar nicht
nennen konnte, schnüffle ich doch gleich ein ödes abstraktes Problem und stelle
meine Nase lieber auf anderes, weniger Abstraktes um, vor allem auf die Urinabgaben
anderer Hunde. Kurz fragte ich mich noch, ob dies womöglich für mich das
Eigentliche sei. Aber was ist dann mit dem Napf? Mit meinen Ruheplätzen? Mit
der Fellpflege? Und was ist dann mit der Jagd, diesem phantastischen
Gesundbrunnen als Abwechslung vom täglichen, stupiden Einerlei
bei Herrchen?
Herrchen selbst sagt, er habe nicht zuletzt durch mich stets so viel zu tun, dass er, wenn der Moment gekommen sei, mit dem Eigentlichen zu beginnen, zu erschöpft und leer für das Eigentliche sei. Was für eine Ausrede! Und mir noch die Schuld unter die Pfoten schieben. Denn ich habe es ja wohl mit ihm schwerer, als er mit mir. Er lenkt mich ab, nicht ich ihn. Er kostet mich Zeit, nicht umgekehrt. In unserer Hundegruppe wird dies übrigens oft sehr deutlich ausgesprochen, wenn auch indirekt. Da muss sich Herrchen anhören: Du hast das falsch gemacht. Du hast mit deinem Hund nicht richtig kommuniziert. Er spricht mit dir, aber du siehst es nicht. Der Hund macht alles richtig, aber du merkst es nicht. Stark, oder? Geht mir runter wie Lachsöl.
Ist bei Herrchen also das Versagen das Eigentliche? Aber nein, das Eigentliche kann ja eigentlich nur etwas Aktives, vielleicht auch Kreatives sein, niemals etwas Passives, was man erleidet. Eine Freundin von Herrchen – ich zitierte sie hier schon gelegentlich – sagte bereits vor Jahren sinngemäß, das Eigentliche für Herrchen sei ich.
Herrchen will das nicht hören. Aber hat sie nicht recht? Als wir kürzlich im Wald unterwegs waren, hätte Herrchen nie im Leben die wundervollen Steinpilze gesehen, auf die ich ihn durch mein Pinkeln (nicht auf die Pilze, also bitte) aufmerksam machte. Frauchen hat sich über das Mitbringsel gefreut. Und mir brachte es die Erkenntnis, dass mein Eigentliches darin besteht, Frauchen zu gefallen. Was, bitte, geht über die abendlichen Schmusereien mit ihr auf meiner Couch. Ich will da nicht ins Detail gehen. Frauchen arbeitet am Theater, also lassen wir lieber den Vorhang fallen.
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