Betreff: Großes Kino

Hätte Herrchen sich nicht umgewandt, ich hätte nicht diesen furchtbaren Muskelkater. Meine Hausärztin meint, Herrchen solle mal eine angewärmte Decke auf mich legen, um die Muskeln zu entspannen. Macht er natürlich nicht. Gut, ich kann mich ja auch vor den Kamin hauen, wärmt auch angenehm durch, und überhaupt geht es mir schon wieder besser.

 

Warum um alles in der Welt musste er sich auch umdrehen. Saß auf seinem Fahrrad, drehte sich um und erzählte mir fröhlich davon, was für ein schöner Frühlingsausflug das mit mir sei, lang die Strecke, hoch die Sonne, mild die Temperatur, vogelbesungen die Wiese. Dabei sagt ein altes Sprichwort – ich zitiere frei –, man solle den Gassigang nicht vor der Heimkehr loben.

Weil Herrchen sich zu mir gedreht hatte, konnte er die beiden Kaninchen nicht sehen. Im Gegensatz zu mir. Sie hoppelten genau auf unserem Weg dahin, vermutlich verliebt oder in einem sportlichen Wettlauf. Jedenfalls liefen sie fast in uns hinein.

In solchen Fällen schreibt sich das Drehbuch von selbst. Ich also dem einen Kaninchen nach, fest davon überzeugt, dass Herrchen sich um das andere kümmern würde. Aber nein, sein Verhalten entsprach leider dem, was Laurence Stern schon im „Tristram Shandy“ anmerkte, dass nämlich „die galligen und melancholischen Leidenschaften, durch die Unordnung, die sie in Blut und Säften stiften, einen ebenso argen Einfluss auf die politischen wie den natürlichen Körper“ haben. Den Wahltag hatten wir zwar hinter uns mit seinen gallig-melancholischen Ergebnissen, aber jetzt versuchte mein gallig-melancholisches Herrchen seinen natürlichen Körper unordentlich mir folgen zu lassen.

Lächerlich, denn ich flog und flog, von Höhe Schweinebrücke über den Weinberg bis hoch auf den alten Bahndamm, Kilometer um Kilometer. Ich flog dahin, ohne dass noch irgendwo ein Kaninchen zu sehen gewesen wäre, aber Rehe soll es da auch geben. Egal. Es war – in Berlin lief die Berlinale – schlicht großes Kino mit großer Leidenschaft und großen Bildern. Prachtvoll auch der Showdown, wie Herrchen über den Tracker mich endlich ortete und mir nun gegenüberstand, ein tückisch schmatzender Wassergraben zwischen uns. Zwei am Ende ihrer Kräfte, er natürlich mehr als ich.

Wenn das auf der Leinwand zu sehen gewesen wäre, hätte sich das Publikum jetzt bebend gefragt: Kommt es zum Happy End oder geht es unendlich weiter im Schwelgen großer Bilder und gedehnter Handlung, so wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“ mit seinen fast vier Stunden, bis endlich alle tot sind? Immerhin gab ich meine Rolle derart phantastisch überzeugend, dass ein zufällig am Set vorbeiradelnde Mann schrie: „An die Leine mit ihm! Leinenpflicht! Der ist doch gemeingefährlich!“ Dabei hätte der Mann doch wissen können, dass ich, genau wie es die Film-Bösewichter Henry Fonda und Charles Bronson waren, privat ganz umgänglich bin.

Aber wie mich die künstlerische Arbeit doch in Anspruch genommen hat! Dieser Muskelkater! Die – glücklicherweise nur kleinen – Blessuren, weil ich die Stunts selbst machte. Und vorerst bestimmt kein rascher Schritt über den Set, alles nur backstage. Und wie backstage in Künstlerkreisen üblich: saufen, saufen, saufen. Und das alles nur, weil Herrchen sich umgedreht und – jetzt richtig zitiert – den Tag deutlich vor dem Abend gelobt hatte.

Kommentare

  1. Hsllo Elvis hast du ein Halsband mit GPS Sender ....??? Übrigens hat der Radler Recht, es ist Leinenpflicht.....im Wald , auf der Straße und öffentlichen Plätzen..!!!

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  2. Gut gemacht Elvis, bring mal Herrchen so richtig in Schwitzen, innerlich wie äußerlich. Das mit dem Leinenzwang sehe ich gelassen. Herrchen hat eben Angst, hinter dir auf dem Bauch mitgeschliffen zu werden. Dein Appetit auf andere Viecher sollte er mit einer Aufstockung deines Futters kompensieren.

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