Betreff: Niendorfer Notizen
Hier fahren sie Porsche, BMW, Tesla. Und mein Fuhrpark besteht nur aus einem VW. Das ist peinlich, aber ich will nichts gegen unseren VW sagen. Er protzt zwar nicht, aber was wäre ich ohne ihn. Ich wäre jetzt auch nicht in Niendorf an der Ostsee. Im Hafen dann dichtgedrängt die Fahrer von Porsche, BMW und Tesla, wohlgekleidete Leute, duftend. Teures Parfüm überdeckt den Geruch nach Fisch, der mir allerdings deutlich lieber wäre. Am Strand viele Hunde, aber kaum einer folgt meiner Schwanzwedeleinladung zu Sport und Spiel. Ob die bequemen Porsche-Hunde den Ossi aus der VW-Klasse riechen?
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Aber Niendorf liebt die Hunde. Herrchen und ich bewundern die entsprechende Infrastruktur. Uns gehen angesichts meiner regen Verdauung in appetitanregender Ostseeluft die Kackbeutel aus, aber überall hängen welche bereit. Außerdem werben sie hier augenzwinkernd mit der an sich ja maritimen Aufforderung: Leinen los. Zumindest gilt das für die kalte Jahreszeit, und es tut mir sehr wohl, Herrchen am Strand davonzuspringen.
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Niendorf ist der ideale Ort für ein Treffen der Familie von Frauchen. Herrchen und ich müssen deshalb in das Fell von Familienhunden schlüpfen. Ich will gar nicht erst die Frage in den Raum stellen, wem das besser gelingt, das wäre nämlich Fishing for compliment. Leider kollidieren hier und da meine Aufgaben. Ich habe eben nicht nur die Familie zu bespielen, vor allem den jüngsten Racker, ich muss auch verbal Nachricht geben, wenn sich die Verwandtschaft oder irgend ein anderes Subjekt unserem Ferienhaus nähert. Habe ich das ordnungsgemäß getan, beginnt unser jüngster Rudelzuwachs zu bellen, freilich nicht aus Achtsamkeit wie ich, sondern aus Schreck über mich. Das ist blöd. Würden wir aber nur zwei Tage länger zusammen sein, würde ich es hinbekommen, dass der Kleine und ich gemeinsam zeitgleich bellen, am besten in einem Kanon. Wie schön das wäre. Schön ist aber auch, wenn ich zu Füßen seines Stühlchens sitze und aufpasse, dass nichts von dem, was er beim Essen fallenlässt, den Boden auch nur berührt. Er weiß das zu schätzen und erhöht die Menge des Fallengelassenen. Ich stelle erfreut fest, wie sehr sich unser Geschmack gleicht.
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Morgens haben Herrchen und ich beim Gassigehen Strand und See für uns. Anders als zu Hause im Ewig-Gleichen zeigt sich das Meer jeden Tag wie neu. Einmal zieht Nebel auf. Unter einem hellen Vorhang verschwindet die fürchterliche Betonbebauung rund um die Bucht. Nur das leuchtende Blau der See erscheint noch und auf den Wellen die strahlend weißen Schaumkämme. Herrchen steht hingerissen am Strand, ich bin da nicht so romantisch und bringe in der Zeit lieber die Kaninchen in den Dünen auf Vordermann.
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Als wir wieder bei uns zu Hause ankommen, wundert sich Herrchen, dass ich nicht wie sonst aus dem VW springe, sogleich Haus und Garten inspiziere und schaue, ob auf meiner Box auch all meine Plüschtiere zu meinem Empfang bereitstehen. Ich schleiche dahin, halb aus Melancholie, dass die schönen Tage schon wieder vorbei sind, halb aus Erschöpfung. Nach Abendessen und -gang bemühe ich mich sogleich in mein Quartier und vergesse über dem Schnarchen, meinen Nachtimbiss, vulgo Absacker, zu bestellen. Noch ist alles in mir Niendorf. Ich genieße es, bevor ich es morgen wieder allein mit Herrchen zu tun habe. Pfff…
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