Betreff: Pluralis majestatis
Susi hat es mit dem Rücken. Susi ist ein Dackel, bei Dackeln sind die Rücken lang, da kann sich viel Schmerz ansiedeln. Neulich trafen wir Susi bei meiner Hausärztin, die also offenbar auch die ihre ist. Susi trat zusammen mit ihrem Frauchen aus dem Behandlungszimmer, als wir im Warteraum gerade eingetroffen waren.
Herrchen fragte natürlich gleich mitfühlend, was mit Susi los sei. Ihr Frauchen antwortete: „Wir haben Rücken. Schon eine ganze Weile, die Spritzen haben uns bislang auch nicht geholfen. Aber wir hoffen natürlich, dass es uns endlich wieder besser geht.“
Herrchen nahm diese merkwürdige Redeweise sogleich auf, indem er sagte: „Und wir haben eine schlimme Pfote, ist aber schon deutlich besser.“ Dabei hatte Herrchen keineswegs eine schlimme Pfote, er hat ja überhaupt keine Pfote, so wenig Susis Frauchen Rückenschmerzen hatte, wenn auch immerhin einen Rücken.
Ist das nicht eine seltsame Form des Pluralis majestatis, wenn das Wir verwendet wird, als wären wir eines, Herrchen und ich, Susi und ihr Frauchen? Praktisch ist das natürlich Blödsinn, aber auf eine höhere Weise stimmt es dann auch wieder. Noch nie war mein Leben derart verschmolzen mit einem anderen Leben wie dem von Herrchen. Wir sind tatsächlich ein Wir, auch wenn man sich das ganz bestimmt nicht dauerharmonisch vorstellen darf, in welcher Beziehung ist das schon so. Herrchen sieht das auch so. Er sagt zum Beispiel gern, er würde mich auch dorthin mitnehmen, wo Haustiere verboten seien, weil ich kein Haustier sei, sondern Sozialpartner. An sich ein schöner Satz, finde ich, hat er aber geklaut.
Dass Mensch und Tier nicht nur zu einem Wir, sondern tatsächlich verschmelzen, ist zumindest in der Kunst möglich. Ich sage nur: Kentauer, vorn Mensch, hinten Pferd. Die Idee kam allerdings von einem Wir, nämlich dem Reiter, der mit seinem Pferd eins wird, so wie Alexander der Große und sein Bukephalos. Beim Satyr haben wir vorn den Menschen hinten den Ziegenbock, bei der Sphinx hinten den Löwen. Beides halte ich eher für fragwürdige Verbindungen.
Es gibt auch Kynokephale, Menschengestalt mit Hundeköpfen und Klauen. Kynokephale haben etwas unbedingt Dämonisches und erzählen ganz bestimmt nicht von dem netten Wir zwischen Hund und Herr, das ich meine und das auch Susis Frauchen meinte.
Genau genommen ist unser Wir aber ein Pluralis benevolentiae, ein Plural des Wohlwollens. Susis Frauchen sagte uns mit ihrem „Wir haben Rücken“, wie sehr es sie mitnimmt, dass Susi Rückenschmerzen hat. Und so war auch Herrchens Bemerkung zu verstehen: „Wir haben eine schlimme Pfote.“ Das ist doch rührend, oder?
Allerdings kann auch der Pluralis benevolentiae – wie alles – verkommen. Wie oft zum Beispiel verwendet Herrchen vor allem beim Morgengang jenen Pluralis benevolentiae, der auch gern Krankenschwesterplural oder Pluralis sanitatis genannt wird. Er verwendet ihn natürlich in ordinärster Weise: „Nun, haben wir heute eigentlich schon gekackt?“
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