Betreff: Aus dem Tagebuch

Montag

Herrchen lobt beim abendlichen Tagesauswertungsgespräch: „Sieh an, heute mal ohne Zwischenfälle. Ohne Jagerei, ohne Kläfferei mit anderen Hunden. Geht doch.“ Und ich denke: Da ist es wieder, dieses Zeitgeist-Ohne, das ich schon ab und an hier beklagen musste. Wo sind wir bloß hingekommen? Manchmal sagt er ja auch, wenn nichts los ist, „zwischenfallfrei“. Ich finde es besonders perfide, wenn auch noch aus dem Ohne, einem Mangel also, ein Frei wird, also Freiheit. So wie bei „laktosefrei“ und dergleichen Einschränkungen des Lebens. Für mich steht, unumwunden sei es gesagt, ein „Tag ohne Zwischenfälle“ ausschließlich für das eine Ohne oder den einen Mangel, nämlich dem an Lebensfreude und Spaß.

 

Dienstag

Herrchen sagt, individuelle Freiheit und Rudelverantwortung gehörten zusammen. Natürlich sagt er das als Teil einer Strafpredigt wegen in seinen Augen nichtrudelgerechten Verhaltens. Er könnte auch gleich sagen, Freiheit sei die Einsicht in die Notwendigkeit. Damit sind schon ganz andere Unrechtssysteme begründet worden.

Mittwoch

Mein nichtrudelgerechtes Verhalten beim Abendgang neulich hat Frauchen derart verärgert, dass sie Leinenzwang anordnete, wenn sie mit mir unterwegs ist. Für die Schleppleine wird ein Geschirr gebraucht, das Halsband reicht nicht dafür. Heute hat Herrchen mir ein Geschirr angepasst. Ist schon erstaunlich, wie dick bei mir Hals und Bauch sind, da muss doch glatt im XL-Regal geschaut werden. Zwar sind die Gurte des Geschirrs einigermaßen schmal, dennoch sehe ich darin aus wie Herrchen aussähe, trüge er Jogginghosen und dazu Straßenschuhe.

Donnerstag

Herrchen liest mir aus „Der Blaue Kammerherr“ vor, seinem Lieblingsroman: „Darum seid Ihr Tiere so vortreffliche Leute; mit Euch kann man reden; auf Euch kann man bauen; sogar Confidenzen kann man mit Euch machen. Weil Ihr nie mehr wollt, als der Augenblick braucht. Weil Ihr schweigt, wo wir schwatzen.“ Wolf von Niebelschütz, der Autor, muss von uns, von Herrchen und mir, geahnt haben. Wenn die Leute aus unserem Umfeld wüssten, was Herrchen und ich schon so an Vertraulichem besprochen haben…

Freitag

Weil Herrchen den halben Tag lang weg ist, bin ich bei meiner Tante mit dem tollen Seeblick. Als Herrchen mich wieder abholt, sagt meine Betreuerin, meine Leinenführigkeit sei besser als die ihres eigenen Hundes, des knuffigen Rapunzelchens. Herrchen freut sich natürlich, er hört mich gern gelobt. Ich will nur hoffen, dass Leinenführigkeit nicht am Ende auch mehr Leine bedeutet. Das wäre wie bei einem guten Ehemann, der von seiner Ehefrau zwar als gute Ehemann wahrgenommen wird, aber nicht mehr als er selbst.

Samstag

Um abermals auf das Ohne vom Montag zu kommen. Neulich nahm Frauchen doch tatsächlich Anlauf, das Lachs-Öl aus unserem Rudelhaushalt zu verbannen. Weil es so wenig ökologisch mit den Lachsen zuginge und so weiter. Auf dem Ohr hörte Herrchen freilich gar nicht. Das sei ihm angerechnet, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass er sich für das Öl nicht eingesetzt hat, weil ich es so mag, sondern aus einem rein ökonomischen Grund: Er hat gerade mehrere Liter davon gekauft.

Sonntag

Ich habe Labrador in mir. Labradore gelten als verfressen und wasseraffin, da können sie von Adel sein wie sie wollen. Dass ich – nicht von Adel – manierlich zu speisen verstehe und nicht in jede Pfütze patsche – liegt das nun am Belgischen Schäferhund, den ich auch in mir habe, oder an meiner guten Erziehung? Herrchen würde natürlich letzteres behaupten. Ich erwähne das nur, weil es heute so ein heißer Tag war, dass ich dann doch ein paar Züge im See geschwommen bin. Sehr erfrischend. Und mehr lässt sich von diesem Tag auch nicht berichten. Ich höre schon Herrchen beim Tagesauswertungsgespräch nachher: „Zwischenfallfrei.“ War trotzdem ganz schön heute.