Betreff: Melone des Wohllauts
Neulich war ein Freund aus Kindertagen zusammen mit seiner Ehefrau bei Herrchen zu Besuch. Unter den vielen Mitbringseln befand sich auch ein schöner Dreiklang für mich. Es gab nämlich Leckerlistangen (mit baldigem Verfallsdatum, zwinker, zwinker!). Dazu eher anstrengende Kaustangen für die Zahnpflege, die Herrchen zwar nicht selbst probierte, auf die aber zutrifft, was er, der alte Zucker-Junkie, gern bei vergleichbaren Gelegenheiten äußert: „Gesundes Zeug schmeckt nicht.“
Die dritte Gabe für mich war ein Kau-Spielzeug im seltsamen Design einer Wassermelonenscheibe. Die Melone wurde mir zunächst vorenthalten, denn Herrchen war in Sorge, dass ich vor den Gästen – und hier verwendete er ein empörend schiefes Bild – „womöglich die Melone gleich zu Kleinholz mache“.
Nun, die Gäste reisten ab, mir wurde die Melone ausgehändigt, und bald stellte ich fest, dass sie in unterschiedlichen Tönen quietscht, fast so vielfältig wie eine Tonleiter. Einmal entdeckt, ließ ich es natürlich nach Herzenslust quietschen, bis ich vor Begeisterung die Melone beiseitelegte und versuchte, die Töne nachzusingen, sehr zu Frauchens und Herrchens Erheiterung. Herrchen in einer für ihn typischen seltsamen Assoziation freute sich mit den Worten: „Fülle des Wohllauts.“
Er kam wohl darauf, weil mit „Fülle des Wohllauts“ ein Kapitel in Thomas Manns furchtbar dickem Roman „Der Zauberberg“ überschrieben ist und Herrchen mit seinem Freund abends bei einem Glas Wein, ebenfalls einem Geschenk der Gäste, über die Figuren und die Handlung (ich wusste gar nicht, dass es da überhaupt eine Handlung gibt) im „Zauberberg“ geplaudert hatte. In „Fülle des Wohllauts“ hört Hans Castorp auf dem Grammophon Schallplatten, er hört besonders gern Verdis „Aida“, Bizets „Carmen“ und Schuberts „Winterreise“.
Hunde und Grammophon, das ist übrigens keineswegs so absurd, wie man zunächst meinen möchte. Von dem Maler Francis Barrauder gibt es ein vor allem durch die Reklame berühmt gewordenes Bild: Einen Hund, der aufmerksam in den Grammophontrichter hineinlauscht, angeblich, weil er dort die Stimme seines Herrchens vernimmt, aber das soll Quatsch sein. Egal, man weiß jedenfalls sogar den Namen des Hundes: Nipper. Nipper heißt soviel wie Beißer, und Nipper soll Besucher Barrauders gern in die Wade gezwickt haben. Auch eine Idee, sich mit Besuch köstlich zu unterhalten, finde ich.
Pardon für die kleine Abschweifung. Immerhin hat es Thomas Mann mit Abschweifungen noch viel schlimmer getrieben als ich, nicht nur im „Zauberberg“. Die Melonenscheibe jedenfalls, um auf sie zurückzukommen, führt uns immer wieder zu einer, wie ich finde, poetischen Rudelsituation. Denn wenn ich auf der Melone, von der runden Form her einer Grammophonplatte ja nicht unähnlich, mit ihren verschiedenen Tönen herumgnietsche, scheint es uns, als würde auf einmal auch die Musik von Verdi, Bizet und vor allem von Schubert mit durch den Raum schweben.
Und von Händel und Wagner, würde Herrchen vermutlich gleich noch hinzusetzen, auch wenn im „Zauberberg“ davon keine Rede ist.
Ich bin auch auf Instagram unterwegs, und dieser Blogeintrag darf gern geteilt werden, wohin auch immer.
Wieder mal herrlich!
AntwortenLöschenVielen Dank, lieber Elvis!
Ich liebe deine ehrlichen unterhaltsamen Beobachtungen, Abschweifungen und freue mich jede Woche darauf! Hab ein schönes Wochenende und knuddel knuddel von mir!